von Sakis & Charlotte Kroupis
Gibt es einen Ort, an dem Kinder mit Tourette-Syndrom einfach nur Kinder sein dürfen? Einen Ort, an dem sie mit anderen spielen können, ohne das Gefühl zu haben, anders zu sein?
Ja, den gibt es! Das diesjährige pferdegestützte Training (PT) der TGD in Frechen war so ein Ort.
Eines Tages kam unsere 10-jährige Tochter Charlotte von einer Ferienfreizeit auf einem Reiterhof nach Hause und sagte, dass sie auf dem Pferd weniger ticken müsse und dass es ihr so guttue, ihre schmerzenden und unangenehmen Tics zu vergessen. Das war natürlich schön zu hören, also informierten wir uns über das Therapeutische Reiten in der Hoffnung, dass Krankenkassen dies übernehmen würden. Doch leider machte sich schnell Ernüchterung breit. Es ist wirklich traurig, dass so tolle und einfache Lösungen, die Kinder stärken können, bisher wenig Unterstützung finden.
Genau in dieser Phase der Ernüchterung stießen wir glücklicherweise auf der „Tourette“-Facebook-Seite von Hermann Krämer auf das pferdegestützte Training der Tourette-Gesellschaft in Frechen. Diese Chance nahmen wir natürlich sofort wahr und möchten hier unsere Erlebnisse teilen.
Dass bei diesem Camp neben dem tollen Erlebnis für alle auch echte Wissenschaft gemacht wurde, passte perfekt zu unseren Gedanken. Denn wie eingangs erwähnt: Wenn gute wissenschaftliche Fakten Therapien unterstützen, gibt es auch für Krankenkassen gute Gründe, umzudenken. Dass bei neurodivergenten Menschen Tiere – insbesondere Pferde – einen großen positiven Einfluss haben, wird schon lange vermutet. Diese Woche bot also die Gelegenheit für eine spannende Studie, an der wir als Betroffene teilnahmen. So viel dazu: Während beim einfachen Sitzen auf einem Stuhl bei mir und meiner Tochter ein wahres Tic-Feuerwerk ausbrach, ging es auf dem Rücken eines Pferdes deutlich ruhiger zu, was unsere Vermutung bestätigt. Ob die wissenschaftlichen Fakten dies auch bei anderen bestätigen? Wir warten es gespannt ab.
Die Tage vor der Abfahrt waren aufregend – Charlotte hatte noch nie andere Kinder getroffen, die ihr „Schicksal“ teilen. Auch ich selbst hatte Sorge davor, ob mich die vielen Tics triggern würden. Aber am Ende war klar: Einfach leben und Spaß haben, das steht im Vordergrund.
Am Anreisetag trafen wir uns alle direkt bei der Gold-Krämer-Stiftung, dem Pferdehof. Nach einem ersten Kennenlernen bezogen wir Eltern das gemietete Haus, während die Kinder schon direkt bei den Pferden bleiben durften. Das Gefühl im Haus war sofort da: Wir waren wie eine große WG (Wohngemeinschaft).
An den folgenden Tagen waren die Kinder tagsüber auf dem Hof und wir Eltern hatten Zeit für das, was oft zu kurz kommt: den Austausch. Das ist unglaublich wertvoll. Viele hatten ähnliche Erfahrungen gemacht oder bereits Herausforderungen bewältigt, von denen andere wiederum lernen konnten.
Es war auch toll anzusehen, wie die ganze Gruppe der Kinder harmonierte. Hier war jede/r ein gleicher Teil der Gruppe, was für viele, die in der Schule andere Erfahrungen machen, so wichtig ist. An einem Nachmittag hatten wir Eltern sogar noch das Glück, mit Mirjam Brüning einer Expertin der Universitätsklinik Köln über das HRT-Training (Habit-Reversal-Training) zu sprechen, und wir bekamen wertvolle Tipps zu vielen weiteren Themen, die uns als Eltern bewegten.
Nach einer Woche war das Camp viel zu schnell vorbei. Das Besondere war außerdem, dass dieses Mal die Trainerinnen ihre eigenen Pferde mitnehmen konnten, wodurch es für alle noch intensiver war. Am Ende möchten wir uns bei allen Beteiligten bedanken. Vor allem bei Rachel Wittschier von der TGD und Dr. Katharina Alexandridis vom Alogo-Institut, die mit ihren eigenen Pferden und ihrem Erfahrungs- und Organisationstalent alles geleitet haben. Auch der Gold-Krämer-Stiftung danken wir für das tolle Gelände und die Unterstützung!
Wir fanden das diesjährige PT super!
Was die Kinder aber den ganzen Tag genau erlebt haben, das erzählt Charlotte jetzt am besten selbst.
Mein Papa und ich fuhren vier Stunden nach Köln und holten dann Anna, eine weitere Teilnehmerin, und ihren Papa vom Bahnhof ab. Dann fuhren wir alle zusammen zum Reiterhof.
Als wir ankamen, sprang zuerst die Hündin Zinni an Anna und mir hoch. Ich erschrak mich ganz schön!
Danach machten wir dort eine kleine Kennenlernrunde. Alle mussten ein Schild über sich selbst malen und darauf erzählen, wer man war. Gleich danach fuhren die Eltern in „ihr Haus“, die Herberge, und wir Kinder gingen mit Rachel (und den Betreuerinnen) direkt zu den Pferden.
Dort hing eine Tafel, auf der genau stand, was wir an welchen Tagen machten. Wir gingen dann direkt zu den Pferden, lernten sie kennen und ritten sogar ein bisschen.
Am Abend fuhren wir in die Herberge, die nur ein paar Minuten entfernt war. Da duschten sich erst einmal alle. Dann gab es Abendessen, und jeder hatte in der Woche mindestens einmal Tischdienst. Nach dem Essen spielten wir alle zusammen „Werwolf“, bis wir total totmüde ins Bett fielen. Ich war sehr glücklich, dass ich mich mit Anna gleich angefreundet hatte.
Am nächsten Morgen standen wir auf und frühstückten. Das war sehr lecker! Danach gingen wir sofort wieder zu den Pferden. An diesen super tollen Tagen machten wir viel: Wir voltigierten mit einem echten Voltigierpferd, wir ritten und spielten viele Spiele – mit den Pferden, aber auch abends in der Herberge.
An einem Tag war auch die Studie, von der Papa erzählt hat. Wir mussten uns vor eine Wand setzen und durften frei ticken. Mein Papa auch. Danach durften wir auf die Pferde. Am Ende mussten wir auf einem Stuhl sitzen, der aussah uns sich bewegt hat wie ein Sattel.
Vor der Wand tickten Papa und ich richtig doll. Auf dem Pferd tickten wir fast gar nicht! Auf dem Sattel-Stuhl war es dann „so mittel“.
Ich fand es super, dass sich alle so gut verstanden. Das machte sehr viel aus. Anna und ich waren die einzigen Mädchen, und sieben Jungs waren auch dabei. Ein Kind gab sich super viel Mühe und machte einen Film von der ganzen Woche. Und für Rachel und Co machten wir alle zusammen ein tolles Geschenk.
Ich kann das Pferdegestützte Training allen Leuten nur weiterempfehlen. Besonders, weil da Ticken ganz normal ist und niemand das Gefühl haben muss, der/die Einzige zu sein!




